Die Tagesration: eine Scheibe Brot, Kaffee-Ersatz und heißes Wasser
Geschichte Im KZ Burgau befanden sich 1945 über 1000 Menschen. 978 Jüdinnen kamen in Viehwaggons aus Bergen-Belsen und Ravensbrück - todkrank, frierend und halb verhungert
Von Maximilian Czysz
Saftige Wiesen mit Fröschen, die im Sommer nächtelang Konzerte gaben, große Weidenbüschel, Schafherden und Störche, die im Mindeltal Nahrung fanden: Die friedliche Idylle, die der frühere AZ-Chefredakteur Gernot Römer in seinen Buch „Für die Vergessenen“ beschreibt, änderte sich 1944. Neben dem späteren Jahnsportplatz entstehen zehn und später weitere vier Holzbaracken. Dort kommt ein Teil der ausgelagerten Messerschmitt-Verwaltung unter. Im Februar 1945 wird sie geräumt - das Unheil nimmt seinen Lauf.
120 männliche KZ-Häftlinge aus Dachau müssen das 36 000 Quadratmeter große Gelände für eine neue Funktion vorbereiten: Es soll ein Dachauer Außenlager werden. Insgesamt 140 davon entstanden ab 1942 - ein weitverzweigtes Netz für weit über 30 000 Gefangene, die hauptsächlich in der deutschen Rüstungsindustrie schuften.
Damit die geschützte Rüstungsproduktion auf Waldwerk Kuno läuft, wurden Anfang März 1945 insgesamt 978 Jüdinnen aus Polen und Ungarn in Viehwaggons nach Burgau gebracht. 480 kamen aus Ravensbrück und hatten später nach dem Dachauer System die Häftlingsnummern 142954 bis 143433, 498 kamen aus Bergen-Belsen und wurden auf die Nummern 143434 bis 143931 reduziert.
Das Barackenlager war bereits mit Stachel- und Maschendraht umzäunt und hatte Wachttürme erhalten. Die Baracken waren grau gestrichen. So beschrieb Sara Tuvel Bernstein das Lager in ihren Memoiren. Der Geruch von Seife und heißem Wasser habe noch überall in den Wänden gesteckt. Die Jüdin war im April 1945 zu Fuß mit etwa 80 anderen Frauen aus dem Lager Türkheim an die Mindel getrieben worden.
Der Großteil der Frauen kam dagegen mit dem Zug - zusammengepfercht in Viehwaggons unter unvorstellbaren Bedingungen. Viele hatten die 16-tägige Fahrt aus Ravensbrück nicht überlebt. Eva Langley-Dános hat die Gräuel in ihrem Buch „Zug ins Verderben“ festgehalten. Die ungarische Jüdin wurde im KZ Ravensbrück für den Arbeitseinsatz in Süddeutschland ausgewählt. Während der 16 Tage im Viehwaggon unter furchtbaren Umständen erlebte sie, wie ihre Freundinnen starben. Nach den Recherchen von Zdenek Zofka in „Der Ort des Terrors“, herausgegeben von Wolfgang Benz und Barbara Distel, seien viele der Frauen halb verhungert und erfroren gewesen. Viele überleben die Fahrt nicht, vier Frauen starben bei der Ankunft in Burgau und am Tag danach. Viele hätten sich in den Wochen bis zum Kriegsende nicht mehr erholt.
Eva Langley-Dános beschrieb in ihrem Buch „Zug ins Verderben“ auch die Lebensverhältnisse im KZ-Außenlager: Am Morgen habe es vier Deziliter Kaffee-Ersatz, am Mittag sieben Deziliter heißes Wasser als Suppe und am Abend nochmals Kaffee und Brot gegeben. Hunger habe zum Alltag im Lager gehört. Wer im Kuno-Werk arbeitete, erhielt die doppelte Brotration.
Die Holocaust-Überlebende Linda Fishmann bezeichnete im Buch „I survived Hitler“ die Scheibe Brot und die wärmende Suppe in Burgau als „Himmel“. Sie war aus dem KZ Bergen-Belsen noch kärglichere Nahrung gewohnt. Linda Fishmann arbeitete im Kuno-Werk an der Tarnung der Flugzeuge. Sie erinnerte sich an französische Gefangene, die abends das Waldwerk wieder verlassen durften und den Jüdinnen hin und wieder etwas Brot zusteckten. Fishmanns Cousine Dina erkrankte im Lager an Fleckfieber. Sie versuchte, ihr Löffel um Löffel Suppe einzuflößen. Doch die Cousine konnte kaum schlucken. Also hob Linda Fishmann sechs Scheiben Brot für sie auf. Als es Dina wieder besser ging, war das Brot weg. Gestohlen. Wenigstens hatte Linda Fishmann die Gewissheit: In Bergen-Belsen wäre Dina gestorben.
Wie Zdenek Zofka berichtet, wurden 120 Männer und 120 Frauen zur Arbeit ausgesucht. Mit Lastern und Bussen wurden sie zum geheimen Waldwerk Kuno gebracht. Wenn Luftangriffe drohten, mussten sie den Weg in den Wald auch zu Fuß zurücklegen. Andere Frauen mussten laut Zofka Erdarbeiten in Burgau verrichten. Frauen aus der Umgebung, die ebenfalls im Kuno-Werk arbeiteten, hätten bei Bauern Lebensmittel gesammelt und sie den Häftlingen zugesteckt.
Die Verhältnisse im Lager waren einfach. Laut Ruth Deutscher, geborene Szepska (Protokoll in „Für die Vergessenen“ von Gernot Römer), hatte jede Frau eine Pritsche zum Schlafen. Im Kuno-Werk erhielt sie unerwartet Hilfe: Ein Zwangsarbeiter namens Mattfeld habe ihr ein Messer gegeben, als bekannt geworden war, dass das Lager geräumt werden sollte. Der Plan: Ruth Deutscher sollte im KZ die Barackenwand aus Sperrholz durchschneiden und dann flüchten. Das tat sie aber nicht. Sie blieb stattdessen bei ihrer typhuskranken Freundin. Von Mattfeld habe sie dann für die Reise etwas Zucker, Marmelade und Brot erhalten. Davon gab sie ihrer Freundin Roza Raca Jedwab etwas ab. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon bewusstlos. Sie sei dann mit einem eigenen Transport nach Türkheim gekommen, während die meisten Frauen mit einem Güterzug fortgebracht wurden. Roza Raca Jedwab starb wohl im Lager Kaufering.
Bewacht wurden die Häftlinge in Burgau von weiblichen und männlichen SS-Angehörigen. Ein Kontakt zu den KZ-Frauen sei nicht möglich gewesen, sagte die frühere Burgauer SPD-Stadträtin Anni Riehr. „Sie wurden zu gut bewacht“, zeichnete Gernot Römer auf.
Was sich vor den Toren Burgaus auf dem Gelände der heutigen Heimstättensiedlung abspielte, blieb nicht im Verborgenen. Konnte es auch gar nicht. Anni Riehr erinnerte sich, dass Neugierige fortgescheucht wurden, als einer der beiden Transporte mit jeweils rund 500 Frauen Anfang März angekommen war. Sie selbst habe den Elendszug halb erfrorener und halb verhungerter Menschen gesehen. Das Geklapper der Holzpantinen der Frauen sei hörbar gewesen. Anderen Häftlingen begegnete Riehr, als diese mit einem Handwagen in Bäckereien und Metzgereien Verpflegung für das Lager holten.
Franziska Baumeister aus Haldenwang erinnerte sich, dass ein Wachmann zehn Häftlinge ausschwärmen ließ, damit sie in den Bauernhöfen nach Essen betteln konnten. Währenddessen wartete der Posten beim damaligen Schäffler-Wirt ein bis zwei Stunden. Zu ihrer Familie auf den Holdenrieder Hof seien immer zwei polnische Häftlinge gekommen, die recht gut deutsch sprachen. Sie hätten von ihrer Mutter immer eine warme Suppe bekommen und dasselbe Mittagessen wie die Familie. Franziska Baumeisters Mutter versorgte auch die Wunden eines Zwangsarbeiters: „Er war furchtbar abgemagert, und sein Körper war schwer geschunden“, fasste die bereits gestorbene Haldenwangerin ihre Erinnerungen zusammen. Heimlich habe ihm die Familie ein Stück Butter zugesteckt - für die Wunden. Doch vermutlich hatte er es gleich gegessen. Der Mann versprach der Mutter, nach dem Krieg wiederzukommen, um sich zu bedanken. Baumeister: „Aber gekommen ist er nie. Es wurden immer weniger Häftlinge, die damals ausschwärmten.“
Ob es auch ein Wiedersehen mit dem Musikprofessor gab, dem damals Paula Brekau und Gusti Schäffler halfen? Die beiden hatten in der Lohnverrechnung von Kuno II gearbeitet. Wie im Buch „Für die Vergessenen“ nachzulesen ist, soll der inhaftierte Professor seinen jugendlichen Sohn bei sich gehabt haben. So oft die beiden Frauen etwas Essbares dabei hatten, ließen sie die Bürotür offen und stellten die Lebensmittel ab. Dort holte sich der Jugendliche dann das Essen. Paula Brekau erinnerte sich: „Man hat die Häftlinge nicht anschauen können, so abgemagert und verhungert haben sie ausgesehen. Die Frauen waren im kalten Winter erbärmlich gekleidet.“ Einmal habe ein Häftling auf der Suche nach Essen einen Papierkorb im Büro durchwühlt. Die beiden Frauen gaben ihm Kartoffeln und Speckgrieben. Daraufhin sagte er, dass jetzt Weihnachten für ihn sei. Der Musikprofessor dankte den beiden Frauen noch, bevor das Lager im April 1945 geräumt wurde. Er sagte den Kuno-Angestellten: „Ich denke, für uns ist schon der große Ofen geheizt.“
Ein Ende hatte das Grauen in Burgau am 24. April 1945: Das Lager wurde geräumt.
Ferencné Singer verließ bereits am 29. März Burgau und kam am 2. April im KZ Türkheim an. Die Jüdin Magda Neuhauser berichtete, dass sie nach sechs Wochen Lageraufenthalt fliehen musste, da sich die amerikanischen Einheiten genähert hatten. Mit dem Zug ging es nach Kaufering, wo die Flüchtlinge nicht aufgenommen wurden. „Deshalb fuhren wir nach Türkheim“, ist über die Gedenkstätte Yad Vashem herauszufinden. Viele Gefangene wurden auch auf den Todesmarsch geschickt.
Auf dem Weg nach München-Allach seien mindestens 60 Menschen ums Leben gekommen, hatte Zdenek Zofka in „Der Ort des Terrors“ recherchiert. Auf dem Weg von Burgau nach Dachau sollen gehunfähige Häftlinge von SS-Männern erschossen und liegen gelassen worden sein.
Offiziell gab es 18 Tote
Akten Die Behördenvertreter hatten Angst: Was tun, wenn es mehr Sterbefälle werden?
Erschöpfung, Unterernährung, Herzmuskelschwäche: Das sind die häufigsten Todesursachen, die im Verzeichnis der 18 Todesopfer offiziell aufgeführt werden. 13 Frauen und fünf Männer aus Ungarn starben im Lager. Sie hatten vor ihrer Deportation als Schneider, Beamte, Kürschner oder Maschinisten gearbeitet. Die Sterbeanzeigen hatte Oberscharführer Johann Kullik, der das Lager führte, ausgefüllt. Unterzeichnet wurden die Totenscheine vom früheren Burgauer Arzt Dr. Karl Schäffer, ein Bruder des späteren Finanzministers Schäffer. Der Mediziner beharrte auf einer Untersuchung der Toten. Laut Zdenek Zofka in „Der Ort des Terrors“ besuchte er auch zweimal täglich das Lager, um den vielen Kranken beizustehen.
Um die Frage des Bestattungsorts ging es in einem Schriftverkehr aus dem März 1945. In einem Aktenvermerk wurde zunächst die Ankunft der zwei Züge mit rund 1000 Jüdinnen aus Ravensbrück und Bergen-Belsen vermerkt. Dann ging es um die Frage, ob die Toten auf einer Wiese in der Nähe des „K-Lagers“ bestattet werden können.
Der Plan wurde wegen des Grundwassers verworfen - auch der Vorschlag, einen eigenen Friedhof an der Unterführung der Autobahn zu schaffen.
Die Toten wurden schließlich mit einem Lastwagen der Kuno AG nach Ichenhausen gebracht und dort auf dem jüdischen Friedhof begraben. Der Aktenvermerk beweist, mit welcher Akribie die NS-Behörden arbeiteten.
In dem erhaltenen Schriftstück wird auch auf ein Gespräch mit dem damaligen Landrat Prieger aufmerksam gemacht. Darin geht es um die Bedenken „wegen der zukünftigen Überführung, besonders im Sommer oder wenn die Verstorbenen ansteckende Krankheiten“ haben. Der Landrat soll wegen einer Regelung mit dem Bezirksarzt „Fühlung nehmen“ und eine Weisung erteilen, hieß es.
Die Sterbenden im „K-Lager“ könnten auch keinen Sarg erhalten und die „gesetzlich vorgeschriebene Einsargung nicht vorgenommen werden“. Eine Begründung fehlt - weil die Paragrafenreiter vielleicht ahnten, dass es zu viele Tote werden könnten?
An Ostern „regnete es Kartoffeln“
Zeitzeugen Landwirte wollten helfen. Das hätten sie beinahe mit dem Leben bezahlt
Es gab sie: Menschen, die das Leid im KZ Burgau erkannt hatten und sich trotz aller Angst vor Bestrafung für die Häftlinge einsetzten. Die Überlebende Sara Tuvel Bernstein beschreibt in ihrem Buch „Die Näherin“ eine Hilfsaktion von Landwirten, die diese beinahe mit dem Leben bezahlt hätten.
Sara Tuvel Bernstein war mit etwa 80 Frauen 1945 zu Fuß vom KZ Türkheim an die Mindel getrieben worden. Wie andere Häftlinge grub sie im Lager auf allen Vieren nach Graswurzeln, um an irgendetwas Essbares zu kommen. Die Not war groß: Sie hätte auch Würmer gegessen, wenn sie welche gefunden hätte, schrieb sie. Wie muss es den kranken und schwachen Frauen vorgekommen sein, als plötzlich Kartoffeln über den Stacheldrahtzaun flogen?
Sara Tuvel Bernstein beschrieb den Augenblick genau: „Jemand schrie: Kartoffeln. Es regnet Kartoffeln. Bauern warfen Kartoffel um Kartoffel über den Zaun. Sobald eine auf dem Boden gelandet war, hatten sich schon drei oder vier Frauen darauf gestürzt.“ Als ein SS-Wachmann sah, was am Zaun vor sich ging, habe er zu einem Mann auf dem Turm geschrien: „Erschießt sie, erschießt sie.“ Als die ersten Schüsse fielen, rannten die Bauern übers Feld davon. Danach soll ein SS-Mann gefragt haben, warum die „dummen Bauern so etwas machen“. Der SS-Wachmann, der den Schießbefehl gegeben hatte, antwortete: „Es ist Ostern.“ Am 25. April mussten die Frauen weiter, beschrieb Bernstein - in Waggons. Nacht für Nacht hätten sie das Maschinengewehrfeuer der Flieger und das Dröhnen der Bomber gehört. Am vierten Tag der Zugfahrt seien nicht mehr als 20 Frauen am Leben gewesen. Bernstein wurde in Schwabhausen befreit.
Wie brenzlig es werden konnte, sich für die KZ-Häftlinge einzusetzen, zeigt auch ein anderer Bericht. Eine Burgauerin erinnerte sich an einen Spaziergang am Sonntagnachmittag 1945 mit ihren Kindern. Sie kam an jüdischen Frauen vorbei, die bewacht wurden. Sie mussten ein Loch graben. Ein anderer Spaziergänger, der vor der Mutter lief, fragte den SS-Mann, ob er sich nicht schäme - die Frauen seien doch körperlich am Ende. Daraufhin soll der SS-Mann seine Pistole gezogen und den Mann bedroht haben. Die Burgauerin packte den Spaziergänger am Arm und zog ihn weg - so beruhigte sich der SS-Mann wieder und steckte die Waffe ein.
Chronologie des Schreckens
1942 Eisplatz, Turnplatz mit Turnhalle und Badegelegenheit: Für den sogenannten Landdienst wurde bereits 1942 ein Holzbarackenlager an der Bahnhofstraße in der Nähe des Jahnsportplatzes errichtet. Vom fertigen Rohbau und dem „denkbar günstigsten Platz, um in der Freizeit Sport auszuüben“ wurde im Burgauer Anzeiger vom 5. Mai 1942 berichtet.
März 1944 bis Februar 1945 Messerschmitt verlagert einen Teil seiner Verwaltung in die Baracken.
Frühjahr 1944 Die Pläne für das KZ werden vorbereitet. Im Juni wird ein Plan der Messerschmitt AG eingereicht, der das „K.Z.-Lager Burgau - Revier“ und den Grundriss der Baracke C zeigt. Der damalige Bürgermeister hatte den Plan im April unterzeichnet, die Ortspolizei hatte dagegen keine „Erinnerungen erhoben“. Der Plan ist im Burgauer Museum zu sehen.
September 1944 Zwangsarbeiter werden im Lager untergebracht. Darauf lässt eine Liste mit 39 Namen von „Ostarbeitern“ vom 30. September 1944 schließen. Es ist nicht bekannt, ob sie vollständig ist.
Februar 1945 Das 36 000 Quadratmeter große Gelände wird für die Funktion als KZ vorbereitet. Rund 120 männliche Häftlinge aus dem KZ Pfersee müssen das wohl erledigen.
Anfang März 1945 Rund 1000 weibliche Häftlinge, überwiegend Jüdinnen aus Polen und Ungarn, kommen in Viehwaggons aus den Konzentrationslagern Bergen-Belsen und Ravensbrück.
24. April 1945 Räumung des Lagers und Transport der Gefangenen mit der Bahn in Richtung Kaufering.
1. Mai bis 15. Oktober 1945 Ausländerlager.
16. Oktober bis 25. April 1946 Inhaftierung von SS-Mitgliedern.
26. April 1946 bis 9. Mai 1946 Das Lager wird nicht mehr genutzt, aber von polnischen und amerikanischen Soldaten bewacht.
10. Mai 1946 bis 8. Juli 1946 Rund 800 Russen, die unter General Wlassow in der deutschen SS gedient hatten, kommen unter.
9. Juli 1946 bis 8. Oktober 1946 Wieder ist das Lager leer, es wird aber von fünf amerikanischen Soldaten bewacht.
Ab 9. Oktober 1946 Überlassung des Lagers an den Flüchtlingskommissar in Günzburg zur Unterbringung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen. Überwiegend Menschen aus Schlesien und Pommern finden hier eine Bleibe.
1959 Die Baracken werden aufgelöst.
2011 Ein Mahnmal wird aufgestellt und soll an die Menschen erinnern, die im KZ Burgau gelitten haben.
Die Liste
Die offizielle Liste über die 1945 verstorbenen KZ-Häftlinge trägt 18 Namen. Rechnet man die Jüdinnen und Zwangsarbeiter hinzu, die nach der Lagerauflösung und dem Kriegsende in Burgau starben, dann sind es 24. Dass es weitaus mehr Menschen gewesen sein könnten, zeigt ein Gerücht. Die frühere Burgauer Stadträtin Anni Riehr kannte es. Hinter vorgehaltener Hand hieß es, dass die SS „nachts klafterweise tote Juden in den Autobahnsee gekarrt“ habe. Der Menschenverstand sagt, dass deutlich mehr Frauen gestorben sein müssen. Sie kamen schon teilweise schwer krank und unterernährt in Burgau an.
Zitate:
Nicht weit unseres Lagers befanden sich Franzosen, sie arbeiteten zusammen mit uns in der Fabrik Messerschmitt. Die Arbeit war schwer. Wir Juden mussten 10 bis 12 Stunden arbeiten. Ich habe nicht mit eigenen Augen gesehen, dass jemand erschossen wurde, die Häftlinge wurden aber auf schreckliche Weise bei der Arbeit und im Lager geschlagen. Basista Majer
Ich glaube, ich war nur 4 bis 5 Wochen in Burgau. In diesem Lager fanden nach meiner Kenntnis keine Misshandlungen oder Tötungen statt. Isaac B. Nittenberg
Es waren einige SS-Leute dort und auch ein deutscher Koch. Die Bedingungen im Lager waren sehr schlecht. Wir bekamen fast kein Essen. Wir arbeiteten nachts in einer Fabrik, die Flugzeuge erzeugte. Ich erinnere mich, dass er [Lagerführer Kullik] während eines Appells drohte, dass er diejenigen erschießen werde, bei denen er ein Schnürsenkel aus elektrischem Draht finden würde. Er hat die Appelle täglich selbst durchgeführt. Izchak Tennenbaum
Bei unserer Ankunft im Lager empfing uns der Lagerführer, ein SS-Mann im Alter von etwa 60 Jahren oder etwas weniger; er war groß, blond und trug eine grüne Uniform, an seinen Dienstrang kann ich mich nicht erinnern. Es gab noch viele SS-Leute, jetzt erinnere ich mich an den Namen eines SS-Mannes und zwar Hainke oder Heinke. Die Frauen waren von uns abgesondert und ein Stacheldrahtzaun teilte unser Lager. Die Bedingungen im Lager waren sehr schlecht. Wir bekamen sehr wenig Brot und ein bisschen Wassersuppe täglich. Abraham Herzberg
„Alleine hätte sie das nicht überlebt“
Holocaust Geschwister hielten im KZ Burgau eisern zusammen. Was sie im geheimen Waldwerk Kuno II arbeiten mussten.
Von Maximilian Czysz
Sie legte sich auf den Boden. Sie konnte nicht mehr. Sie wollte nicht mehr. Einfach nur noch sterben. Das wollte sie. Bluma Goldberg war am Ende ihrer Kräfte. Trotzdem überlebte sie das KZ Burgau - dank ihrer Schwester Cela Miller. Beide mussten im Waldwerk Kuno II arbeiten. Beide hungerten wie die rund 1000 anderen jüdischen Frauen, die 1945 in Viehwaggons aus den Konzentrationslagern Ravensbrück und Bergen-Belsen nach Schwaben gebracht worden waren. Ihre Erinnerungen machen deutlich, wie schlimm die Zustände in den letzten Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs waren.
Im Rüstungswerk im Scheppacher Forst mussten die beiden Schwestern die Nazi-Wunderwaffen anstreichen. Hier ein bisschen Farbe und dort ein bisschen Farbe, erinnerte sich die ältere der beiden Schwestern, Cela Miller. „Es war nicht wirklich Arbeit, wir wussten eigentlich nicht, was wir da taten“, sagte sie vor Jahren in einem einstündigen Interview mit einem US-Fernsehsender. Wenigstens gab es für diejenigen Häftlinge, die im Waldwerk arbeiteten, eine Scheibe Brot zusätzlich. Das heißt: Zwei Scheiben Brot und heißes Wasser mit einem Blatt Kohl darin. „Das war aber besser als in Bergen-Belsen“, sagte Cela Miller.
Dorthin wurden die Schwestern, Jahrgang 1924 und 1926, deportiert, nachdem sie die Lager im polnischen Kielce und Czestochowa überlebt hatten. Ihre Eltern Rachel und Haskell Tishgarten hatten das Unheil, das die Nationalsozialisten bringen würden, kommen sehen. Sie schickten deshalb die 16 und 18 Jahre alten Töchter in die Wälder. In ihre Kleider hatten sie die Ersparnisse der Familie eingenäht. Sohn Kalma ging mit dem Vater in den Untergrund. Die älteste Tishgarten-Tochter Genya blieb mit ihrem Neugeborenen genauso wie die Jüngsten Salah und Yentala bei der Mutter. Bluma und Cela gelang es, sich mehrere Wochen zu verstecken. Dann gaben sie auf und stellten sich. In Kielce mussten sie für die Hugo Schneider AG Munition herstellen. Dann kamen sie ins Konzentrationslager Bergen-Belsen - „eine Stätte eines langsamen und qualvollen Massensterbens“, wie Eberhard Kolb in seinem Buch den Ort des Terrors und Grauens beschreibt. Insgesamt starben dort rund 50 000 Menschen. Bluma Goldberg erinnerte sich genau an die Zustände: Die Menschen in ihrer Baracke seien verrückt geworden und hätten ihre Köpfe gegen die Wand geschlagen. Viele führten Selbstgespräche oder lagen apathisch auf dem Boden, so Cela Miller. Dazu viele Krankheiten und kaum etwas zu essen. In Bergen-Belsen wurden die Frauen außerdem selektiert: „Sie wollten sehen, ob du noch arbeiten konntest. Wenn Du 35 bis 40 Jahre alt warst, dann war es schon vorbei“, sagte Cela Miller. Die beiden Schwestern entkamen Bergen-Belsen, „dem Symbol für die “Barbarei des nationalsozialistischen Lagersystems„, so Eberhard Kolb.
Trotzdem reichte ihre Kraft nicht mehr. Cela Miller erinnerte sich noch genau an den Augenblick, als ihre jüngere Schwester nicht mehr vom Waldwerk zurück ins Lager nach Burgau laufen konnte. Sie war zu schwach geworden. “Sie legte sich auf den Boden. Dann hieß es, sie müsse ins Krankenzimmer. Aber ich war sehr beunruhigt, weil ich nicht wusste, was das bedeuten würde.„
Im Lager habe sie dann erfahren, dass ein Mädchen einen Apfel hatte. Cela Miller fragte, ob es ihn gegen ihre Brotscheibe tauschen würde - für Bluma. Und das Mädchen tat es. “Am nächsten Tag kam ich wieder zu Bluma, hörte aber schon, dass wir weiterlaufen.„ Sie habe zu ihrer Schwester gesagt, dass sie jetzt stark sein müsse. “Ich wusste nicht, ob sie das schaffen würde. Alleine hätte sie das wohl nicht überlebt.„ Dann begann der Marsch. Acht oder zehn Stunden lang.“ Cela Miller und eine andere Frau stützten Bluma, schleppten sie mit. „Wenn das jemand gesehen hätte, dann hätte es sicherlich Probleme gegeben.“ Sie erreichten zunächst ein anderes Lager, ehe sie am nächsten Morgen im KZ Kaufering VI standen. Bluma ging es wieder besser, dafür bekam jetzt Cela hohes Fieber. Irgendwann hörten sie die ersten Bomben fallen. Cela Miller dachte sich: „Wenn jetzt ein amerikanischer Soldat kommt und sie rettet, dann küsse ich ihm die Füße.“ Dann stand er plötzlich in der Tür. „Aber ich war zu schwach, um aufzustehen.“
Cela Miller und ihre Schwester kamen ins Lazarett Holzhausen, wo sie von Klosterschwestern gepflegt wurden. Nach Jahren gab es wieder richtiges Essen - Reis und Milch. Die Schwestern aus dem polnischen Pinczów hatten überlebt. Ihre Eltern, die Schwestern und ihr Bruder nicht.
Ihren Vater und ihren Bruder hatten auch die Schwestern Rosalie Wattenberg und Helen Greenbaum verloren. Beide stammten aus Warschau. 35 Jahre nach dem Getto in ihrer Geburtsstadt erfuhren die Schwestern endlich, was mit ihrer Mutter geschehen war. In einem Fernsehbeitrag über das Getto wurde ein Schwarzweiß-Bild eingeblendet. Rosalie Wattenberg erkannte darauf ihre Mutter: Sie stand mit drei anderen Frauen nur mit Unterwäsche bekleidet auf einem Feld voller Leichen. Sofort war klar: eine Massenexekution. Auch ihre Mutter würde unter den Opfern sein. Rosalie Wattenberg und Helen Greenbaum, die 1919 und 1923 geboren wurden, überlebten die Lager in Czestochowa, Skarzysko-Kamienna, Majdanek, Ravensbrück, Burgau und Türkheim. In Dachau wurden sie befreit.
In Oberbayern hatte der Nazi-Terror auch für Sonia Nothman, Helen Greenspun, Regina Garfinkel Muskovitz, Bela Garfinkel Soloway Hurtig und Nathan Garfinkel ein Ende. Ihr Leidensweg führte die Geschwister in verschiedene Arbeitslager. Und 1944 nach Bergen-Belsen. Sonia Nothman erinnerte sich: „Das war die Hölle auf Erden. Überall starben die Leute. Wir hatten furchtbaren Hunger und mussten Schnee essen, um zu überleben. Ich denke, meine Eltern beteten damals für mich.“ In Bergen-Belsen traf die 22-Jährige ihre Schwestern Bela und Regina wieder. Dann wurde sie nach Burgau geschickt. 1983 beschrieb Nothmann in einem Interview das schwäbische KZ: „Die Baracken waren sauber. Um 5 Uhr mussten wir aufstehen. Dann wurden wir zur geheimen Fabrik gebracht. Ich und eine andere Frau mussten die Flugzeuge anstreichen. Alles war im Wald und niemand konnte mit mir reden.“ Die Oberseite musste sie braun und grün anstreichen, die Unterseite blau. „Und dann musste ich mit einer Art Spritzpistole Punkte auf die Oberfläche machen. Für die Arbeit bekamen wir eine Extraration Essen - eine Scheibe Brot. Trotzdem war ich froh, als wir von dort wieder weg kamen.“
Sie haben überlebt
Mary Kleinhandler stammte aus Lódz, wo sie 1921 geboren wurde. Nach dem Getto in Chmielnik in Polen überlebte sie die Lager Czestochowa und Kielce-Hasag in Polen, Bergen-Belsen, Burgau, Türkheim, München-Allach und Dachau. Dort wurde sie befreit.
Walter Plywaski, eigentlich Wladyslaw Plywacki, hatte im Holocaust viele Familienmitglieder verloren. Mit zehn Jahren kam er 1939 ins Getto, mit 15 ins KZ. In der September/Oktober-Ausgabe 2007 des „Jewish Magazine“ berichtete er ausführlich über seinen Leidensweg. Er erinnerte sich an den Hunger im Getto in Lódz, die endlosen Appelle im KZ Birkenau, die täglichen Selektionen, die über Leben und Tod entschieden. Um an eine Extraration Essen zu kommen, hätten sich er und sein Bruder Bill als Zwillinge ausgegeben - sie seien an den Günzburger Arzt Josef Mengele geraten, der Versuche an Menschen durchführte. Ein polnischer Kapo zog Plywaski zur Seite und klärte den Buben auf. Dann schmuggelte er die Brüder aus der Mengele-Baracke. Ein SS-Offizier mit vornehmem Aussehen und einem Bambusstock habe ihn dann zum Transport zu Arbeitslagern in Süddeutschland gelassen - ganz entgegen den Regeln. Denn eigentlich hätte niemand unter 15 Jahren am Leben bleiben dürfen, so Plywaski. Der SS-Offizier sagte ihm, dass die deutschen 15-Jährigen an der Ostfront kämpfen würden, woraufhin Plywaski fragte, wie denn die Burschen aussehen würden, wenn sie so schlechtes Essen wie er bekommen hätten. Der Mann grinste und winkte den Burschen durch.
Plywaski war in verschiedenen Außenlagern des KZ Dachau, auch in Burgau. Sein Vater Maksymilian Jozef Plywaski wurde im KZ Kaufbeuren-Riederloh bei einer Strafaktion kalt geduscht - so lange, bis er nur noch schrie und den Lagerkommandanten wüst beschimpfte. Der habe dann mit einer Schaufel auf ihn eingeschlagen. Zwei Tage später starb der Vater. Er verabschiedete sich noch bei seinem Sohn. „Er hat uns sein letzte Brotration gegeben, die unter seinem Kopfkissen lag.“
Plywaski und sein Bruder kamen ins Hauptlager nach Dachau - das war vermutlich im Januar 1945. Wegen seiner starken Unterernährung hätten ihm zwei Kapos erklärt, dass er jetzt Versuchskaninchen für Malaria-Experimente werden würde. Tatsächlich versuchten die beiden, ihn am Leben zu halten und brachten ihm immer wieder Essen - Brot, eine Scheibe Wurst und hart gekochte Eier. Plywaski: „So etwas hatte ich seit Jahren nicht mehr.“ Am 15. März 1945 kam er ins KZ Türkheim. Dort sei er geschlagen und misshandelt worden, Häftlinge seien an Unterernährung und Seuchen gestorben. Dem 15-Jährigen gelang die Flucht. Alois Epple, der sich mit der Geschichte des Außenlagers befasste, berichtete für die Augsburger Allgemeine: „Als er merkte, dass dies seinem Bruder nicht möglich war, kehrte er heimlich ins KZ zurück.“ Ende März 1945, als die Amerikaner anrückten, wurde das KZ Türkheim evakuiert. Walter Plywaski wurde auf den Todesmarsch nach Dachau getrieben. Mitte April befreiten ihn dann amerikanische Soldaten. Zwei Jahre später kam er in die USA.
Jenny Sztanke, geboren 1925 in Berlin, überlebte das Getto in Lódz und die Konzentrationslager in Czestochowianka, Buchenwald, Bergen-Belsen, Burgau, Türkheim und Landsberg, wo sie befreit wurde.
Rose Weinrib, geboren 1926 in Warschau, überlebte dort das Getto und die KZ Czestochowa, Skarzysko-Kamienna, Majdanek, Bergen-Belsen, Burgau, Türkheim und München-Allach.
Rachela Flug, geboren 1925 im polnischen Czestochowa, überlebte in ihrem Geburtstort das Getto sowie die KZ in Czestochowa-Raków, Bergen-Belsen, Burgau, Türkheim und Dachau. Fluchtversuche scheiterten, ehe sie in Dachau befreit wurde.
Dora Blander, geboren 1916 in Szydlowiec, überlebte in ihrem Geburtsort das Getto und die KZ in Czestochowa, Skarzysko-Kamienna, Ravensbrück, Burgau, Türkheim und Dachau.
Esther Shuftan, geboren 1924 in Albesti in Rumänien, überlebte das Getto in Budapest sowie die KZ in Ravensbrück, Burgau und Türkheim.
Rose Tadelis, geboren 1924 in Skarzysko-Kamienna in Polen, überlebte das Getto in ihrem Geburtstort und die KZ in Czestochowa, Skarzysko-Kamienna, Ravensbrück und Burgau. In München-Allach wurde die befreit.
Lucie Bloch, geboren 1926 in Warschau, überlebte dort das Getto und die Konzentrationslager in Skarzysko-Kamienna, Czestochowa, Bergen-Belsen, Burgau und Türkheim. Sie wurde in Oberrammingen bei Türkheim befreit.
Genia Kerbel, 1924 in Warschau geboren, überlebte in ihrer Geburtsstadt das Getto sowie die KZ-Aufenthalte in Skarzysko-Kamienna, Czestochowa, Majdanek, Bergen-Belsen, Burgau, Türkheim. In Landsberg wurde sie von den US-Streitkräften befreit.
Rose Price, geboren 1928, überlebte das Getto in ihrem Geburtsort in Skarzysko-Kamienna sowie die KZ in Czestochowa, Skarzysko-Kamienna, Buchenwald, Bergen-Belsen, Burgau und Türkheim. In Schwabhausen wurde sie befreit. Ihre Erinnerungen schilderte sie in den USA immer wieder: Mit nackten Händen mussten sie und andere Häftlinge aus gefrorenen Feldern Rüben graben. Ihre Hände hätten fürchterlich geblutet. Weil es nur eine Scheibe Brot und eine Tasse Kaffee am Tag gegeben habe, entschied sie sich, eine Rübe zu stehlen und diese zu essen. Ein Wächter habe sie dabei erwischt und dann mit einer Peitsche ins Gesicht und auf den Rücken geschlagen. Die Zustände in den KZ seien fürchterlich gewesen: Rose Price hatte noch vor Augen, wie die Menschen stundenlang im Schnee aufgereiht stehen mussten. Teilweise nackt und ohne Schuhe. Einmal ging es wohl um ein Experiment, meinte Price: Wie lange würde es dauern, bis menschliches Blut gefriert? Der einzige Grund, warum Rose Price überlebt habe, sei die Tatsache gewesen, dass andere Menschen auf sie gefallen waren und ihre Körper die junge Frau gewärmt hätten. Nach dem Martyrium fühlte sie sich schuldig: Warum habe ich überlebt und andere nicht?
Tola Rosenberg, geboren 1924 in Lódz, überlebte das Getto in ihrem Geburtsort und die KZ in Czestochowa, Czestochowianka, Bergen-Belsen, Burgau und Türkheim. Bei Buchloe wurde sie befreit. Ihr Mann Sol Rosenberg überlebte ebenfalls das Warschauer Getto. Er kam ins KZ Treblinka, wo ihm die Flucht gelang. Er kehrte nach Warschau zurück und beteiligte sich am Aufstand. Trotzdem kam er wieder ins KZ. Er landete schließlich in Dachau. Als er befreit wurde, wog er gerade einmal 30 Kilogramm. Sol Rosenbaum war der einzige Überlebende seiner Familie - er hatte Eltern und Geschwister und mehr als 50 Onkels, Tanten und Cousins verloren. Mit seiner späteren Frau Tola baute er in den USA ein Stahlimperium auf.
Helen Fogel, geboren 1926, überlebte das Getto in ihrem Geburtstort Czestochowa. Sie versteckte sich unter anderem in Kellern. Dann musste sie in die KZ Czestochowa, Ravensbrück, Burgau, Türkheim und Dachau.
Polah Skarshpolah wurde 1922 in Kielce in Polen geboren. Sie überlebte das Getto und die Konzentrationslager in Czestochowianka, Kielce-Hasag, Bergen-Belsen, Burgau, Kaufering/Lager I und wurde in Türkheim befreit.
Olga Astor wurde 1924 in Miskolc in Ungarn geboren. Sie überlebte die KZ in Ravensbrück, Burgau, Türkheim und München-Allach. Einen Tag vor der Befreiung in Allach wurde sie durch Pistolenkugeln verletzt.
Dolah Yakirevits, geboren 1925 in Krakau, überlebte in ihrem Geburtsort das Getto und die KZ Krakau-Plaszow, Auschwitz-Birkenau, Bergen-Belsen, Burgau und Türkeim. In Allach hatte das Martyrium ein Ende.
Alzbeta Schicková, geboren 1927 in Bánovce nad Bebravou in der damaligen Tschechoslowakei, überlebte die Lager in Nováky, Sered, Ravensbrück und Burgau. Im Arbeitslager Nováky hauste die damals 14-Jährige mit ihren Eltern, zwei anderen Familien und zwei Herren in einem Zimmer. Sie musste Mäntel und Wäsche nähen. Im Sammellager Sered sah sie ihren Vater zum letzten Mal - seine Spur endete in Sachsenhausen. Im Dachauer Außenlager Türkheim musste sie Löcher graben. Als die Front näher rückte, wurde sie wie Hunderte andere in Viehwaggons getrieben. Der Zug wurde dann bei einem Luftangriff beschossen. Eine Frau neben Alzbeta Schicková wurde getötet. „Ich hielt ihr hübsches Gesicht noch in Händen.“
Hanah Peltsman, geboren 1922, überlebte die Gettos in ihrem Geburtsort Rejowiec sowie in Zamosc in Polen und die KZ Skarzysko-Kamienna, Czestochowa, Majdanek, Bergen-Belsen, Burgau, Türkheim und Kaufering. Befreit wurde sie in München-Allach.
Rivkah Avramovits, geboren 1928 in Skarzysko-Kamienna, überlebte das Getto in ihrem Geburtsort sowie die Lager in Skarzysko-Kamienna, Czestochowa-Pelzery, Ravensbrück, Burgau, Türkheim und München-Allach. Befreit wurde sie in Dachau.
Pola Suss, geboren 1928 in Krakau, überlebte in ihrer Geburtsstadt das Getto. Auf der Flucht versteckte sie sich in alten Höfen, auf Feldern und im Wald. Sie überlebte die Lager in Krakau-Plaszow, Krakau-Prokocim, Skarzysko-Kamienna, Czestochowa-Warta, Biezanow, Ravensbrück, Burgau, Türkheim und Dachau.
Isaac Nittenberg, geboren 1927 in Lódz, überlebte das Getto in seiner Geburtsstadt sowie die Lager in Auschwitz II-Birkenau, Dachau, Augsburg, Kaufbeuren, Burgau und Türkheim. In Auschwitz musste er Leichen wegschaffen. Als Zeuge sagte er bei den Kriegsverbrecherprozessen aus.
Judy Lachman, geboren 1924 in Tomaszów Mazowiecki in Polen, überlebte die Gettos in Piotrków und Tomaszów sowie die Lager in Czestochowa-Pelzery, Skarzysko-Kamienna, Bergen-Belsen, Augsburg, Burgau, Türkheim und Dachau. Lachmann schaffte es, sich lange zu verstecken, ehe sie aufgegriffen wurde und in eine Munitionsfabrik kam. Sie engagierte sich nach dem Krieg im National Council of Jewish Women in den USA.
Linda Fishman, geboren 1926, überlebte das Getto in ihrem Geburtsort Szydlowiec in Polen und die KZ Czestochowa, Skarzysko-Kamienna, Buchenwald, Bergen-Belsen, Burgau, Türkheim, Dachau und München-Allach. In Buchenwald erkrankte ihre Cousine Dina schwer. Um sie zu retten, hob Linda die Essensration von sechs Tagen auf - sechs Scheiben Brot. Doch die wurden ihr gestohlen. Dina überlebte trotzdem. In einem Buch hielt sie ihre Eindrücke fest.
Adelya Zilbershats wurde 1925 in Warschau geboren. Dort überlebte sie das Getto. Sie überlebte außerdem die KZ in Skarzysko-Kamienna, Tschechowitz, Majdanek, Auschwitz I, Bergen-Belsen, Burgau und Dachau. Sie musste medizinische Experimente über sich ergehen lassen.
Frieda Solnik, geboren 1922 in Zyrardów, war im Warschauer Getto und überlebte Skarzysko-Kamienna, Skarzysko-Kamienna und Czestochowa in Polen sowie Bergen-Belsen, Burgau und Türkheim. In Unterrammingen wurde sie befreit. Mehrmals versuchte sie zu fliehen.
Dora Abend wurde 1927 im polnischen Radzyn geboren. Sie überlebte das Getto in Miedzyrzec und die KZ in Skarzysko-Kamienna, Czestochowa, Majdanek, Bergen-Belsen, Burgau, Türkheim und wurde in München-Allach befreit. Sie sagte als Zeugin bei der Kriegsverbrecherprozessen aus.
Rita Nussbaum überlebte das Getto in ihrem Geburtsort Nowy Korczyn sowie die KZ in Czestochowa, Skarzysko-Kamienna, Kielce-Hasag, Bergen-Belsen und Burgau. Sie versteckte sich auf Höfen, in Feldern, Wäldern und Kellern.
Esther Rosenberg, geboren 1926, überlebte das Getto in ihrer Heimatstadt Warschau sowie die Lager in Czestochowa, Skarzysko-Kamienna, Majdanek, Bergen-Belsen, Burgau und Türkheim. Sie wurde in München-Allach befreit. In einem Fernsehinterview berichtete sie auch über das KZ Burgau, wohin sie mit dem Zug von Türkheim gekommen war. Sie musste mit anderen Frauen die Baracken putzen. Zweimal sagte sie: „Das war so furchtbar. Man kann es sich nicht vorstellen.“ Es war Frühjahr und entsprechend kalt. Und: „Es gab nichts zu essen.“ Sie hatte Tag und Nacht dieselbe Kleidung an und fror. Dann mussten die Frauen nach Dachau laufen. „Wer nicht mehr laufen konnte, wurde getötet.“ In Allach wurde Esther Rosenberg befreit. (mcz, recherchiert auch mithilfe des Holocaust Memorial Museums in den USA)
16 Tage, die „die Hölle beschämen und den Teufel erröten lassen würden“
Tagebuch Die ungarische Jüdin Eva Langley-Dános schrieb auf, was sie im Viehwaggon zwischen dem KZ Ravensbrück und Burgau erlebte. Sie sah, wie ihre Freundinnen starben
Von Maximilian Czysz
Was Eva Langley-Dános erlebt hat, übertrifft jede Vorstellungskraft. Sie gehörte zu den 978 jüdischen Frauen, die im Februar und März 1945 in Viehwaggons gepfercht ins KZ Burgau gebracht wurden. 16 Tage ohne ausreichendes Essen und Trinken. Eiskalte Nächte in der absoluten Finsternis. 16 Tage Angst vor den Fliegerangriffen der Alliierten. 16 Tage, die Frauen durchdrehen ließen und die den Glauben an die Menschlichkeit vergessen ließen. 16 Tage, die „die Hölle beschämen und den Teufel erröten lassen würden“. Das ist die Geschichte von Eva Langley-Dános.
Mit gerade einmal 24 Jahren schließt sie in Budapest ihr Hochschulstudium mit einem Doktortitel in Ökonomie ab. Schon ein Jahr später - die Nazis besetzten Ungarn im März 1944 - wird sie deportiert. Auch ihre Freundinnen Hanna Dallos, Lili Strausz und Klara Erdélyi kommen ins KZ.
Sie halten zusammen, sie unterstützen sich, um die endlosen Appelle im KZ Ravensbrück zu überstehen. Tausende Frauen, in Fetzen gekleidet, die gegen die Kälte mit ihren Füßen aufstampfen. Viele brechen zusammen. Sinnlose Arbeiten müssen sie verrichten und sich in der dreistöckigen Schlafkoje zu viert einen schmalen Strohsack teilen. Über 1000 Frauen in einer Baracke. Zu essen gibt es einen halben Becher dünne Suppe und etwas Brot. Dazu Millionen Läuse und immer wieder Peitschenhiebe der Aufseher. So beschreibt es Eva Langley-Dános. Es wird nicht besser, als die Freundinnen für den Arbeitseinsatz im mehr als 700 Kilometer entfernten Burgau ausgewählt werden. Als der Zug voll ist - 75 Frauen jeweils in den kleinen, 110 in den größeren Viehwaggons -, beginnt für viele eine Reise in den Tod.
Tag 1 In der Dunkelheit der ersten Nacht beginnt ein Gerangel - da wird gestoßen mit den schweren Holzschuhen an den Füßen, da wird geboxt, um sich etwas Platz zu verschaffen im Waggon, der einen schmutzigen harten Boden ohne Stroh hat. Die einzige Belüftung ist der Ausguck des Bremsers. Langley-Dános schreibt: „Wir pressen uns aneinander, und wie so oft in unserer Lagerexistenz suchen wir Schutz beieinander.“
Tag 2 Für die Notdurft der 75 Frauen gibt es einen Blecheimer. Die Budapester Freundinnen lesen in einem französischen Messe- und Gebetsbrevier, das sie im KZ auf einem Müllhaufen gefunden und in ihren Schuhen versteckt hatten. Darin heißt es: „Wir sind wie Sterbende, und seht, wir leben, wir werden gezüchtigt und doch nicht getötet. Wir haben nichts und haben doch alles.“ Der Blecheimer fließt über, nachts beginnt das Gerangel wieder. Langley-Dános schreibt: „Es gelingt mir, einen schwachen Schrei auszustoßen, aber wer sollte ihn in dieser Hölle hören?“
Tag 3 Der Zug hält irgendwo an. Stunden vergehen. Dann wird ein Eimer mit Wasser in den Waggon gebracht. In der Nacht wieder Krawall. Eine Frau kriecht auf allen vieren herum und beißt alle, die sich ihr in den Weg stellen.
Tag 4 Viele Frauen haben vom kalten Plankenboden Frostbeulen bekommen. „Wir mussten unsere Holzschuhe ausziehen, um so weitere schwere Verletzungen in den Schlägereien zu vermeiden. Die Frauen frieren.“ Dazu Hungerkrämpfe.
Tag 5 Kein Wasser, ein überfließender Latrineneimer und Frauen, die nach den qualvollen Nächten erschöpft in die Leere starren. Langley-Dános: „Zu müde, etwas zu sagen, geschweige denn, zu schreien.“ Nachts hält der Zug, der Eimer wird geleert und eine Handvoll Mangelwurzelrüben in den Waggon geworfen. Langley-Dános kümmert sich um die zierliche Lili Strausz. Wieder „verwandelt die Nacht die Frauen in Tiere“. Die schweren Frauen werfen sich einfach auf die Schwachen.
Tag 6 Der Zug hält, ein Bombenangriff. Die SS-Aufseherinnen fliehen in einen Luftschutzkeller. Die Waggons mit den KZ-Frauen werden zum Ziel. Eine Stunde Todesangst. Kugeln durchschlagen den Waggon, Frauen sterben. Klara Erdéyis Zustand verschlechtert sich. „Eine fast durchsichtige Haut spannt sich über ihre Gesichtsknochen.“ Später wieder ein Bombenangriff, der Zug hält an. Die Schreie nach Wasser werden immer lauter.
Tag 7 „Nur noch Hunger, Durst und Ellbogen herrschen.“ Doch der Güterzug schwankt so sehr, dass die Nacht relativ ruhig verstreicht.
Tag 8 Hanna Dallos liegt im Kot, Lili Strausz kann sich nicht mehr erheben. Langley-Dános: „Alle kümmern sich nur um sich selbst, ohne Bereitschaft, ihre schwindende Kraft für andere zu verschwenden.“ Der Zug steht still, es ist ein warmer 24. Februar. Zum Dreck, dem Gestank, der Enge, dem Lärm und dem Kampf kommt der mangelnde Sauerstoff. Eine Frau im Waggon, Franka, ruft auf: „Wir müssen überleben.“ Sie schlägt vor zu singen. Langley-Dános: „Franka hat die Menschlichkeit in all den gekrümmten Elenden angesprochen und wachgerufen.“
Tag 9 Der Zug hält in einem Dorf. Bewohnerinnen kommen mit Suppentöpfen und Brotlaiben. Doch die SS-Aufseherin schickt sie weg. Stattdessen werden Kartoffeln verteilt. Lili Strausz ist glühend heiß, ihr Körper brennt vor Fieber.
Tag 10 Der Zug wird wieder aus der Luft angegriffen. Danach werden die Türen geöffnet. Wer kann, steigt hinunter. Es gibt Kartoffeln, vermutlich die Reste vom Vortag. Eine der Freundinnen kann ihre Notdurft nicht mehr halten, Eva Langley-Dános bricht - ihren eigenen Aufzeichnungen zufolge - vor Erschöpfung zweimal zusammen.
Tag 11 Die Lebenskraft von Lili Strausz schwindet. Einmal hält der Zug, die Latrinenkübel werden geleert. Das übernehmen die noch stärkeren Frauen. Sie reichen außerdem Wasser. Doch nur den robusteren Frauen gelingt es, ihre leeren Dosen zu füllen. Die Budapester Freundinnen gehen leer aus. Klara Erdélyi ist am Ende, sie fällt ins Koma. Langley-Dános versucht, sie mit etwas Wasser und einer Kartoffel zu retten. Dann stirbt sie.
Tag 12 Jeden Tag fragen die SS-Schergen: „Wie viele Tote?“ Jeden Tag werden es mehr. Klara Erdélyi verschwindet als nacktes Skelett - andere Frauen haben ihr die Kleider ausgezogen. Für ihren Kamm und ihre Zahnbürste gibt es Wasser für Lili Strausz. Die hat walnussgroße gelbbraune Pusteln bekommen -Typhus.
Tag 13 In der schlimmsten Nacht der Fahrt - eine zierliche Frau wurde „zertreten, gestoßen, erdrückt“ - ist Hanna Dallos gestorben. Langley-Dános schreibt: „Ihre Augen sind starr geöffnet, ihr Gesicht von Todesflecken verunstaltet.“ Sie wird aus dem Waggon gehoben, als er in Bayreuth hält. Das Rote Kreuz verteilt Suppe. Am nächsten Morgen sind es trotzdem fünf Tote.
Tag 14 Lili Strausz „besteht nur noch aus Geschwüren, Eiterungen und Schmutz“. Langley-Dános: „Sie spricht nicht mehr, und ich habe keine Kraft mehr, ihr Gesicht zu mir zu drehen.“ Beide kommen in einen anderen Waggon, der in Bayreuth an den Zug gehängt wurde. In der Nacht stirbt Lili Strausz.
Tag 15 Eva Langley-Dános verteilt, was ihre beste Freundin hinterlassen hat. Sie klagt: „Ich bin allein gelassen worden.“
Tag 16 Fünf Tote im Waggon, dann Ankunft im Morgengrauen. Es ist der 4. März 1945. Augsburg steht auf dem Bahnhofsschild. Dann geht es nach Burgau. Viele Gefangene können sich nicht mehr auf den Beinen halten. Schnee liegt. Die Frauen stapfen ins Lager. Langley-Dános nimmt den einfachen Stacheldraht wahr und „vier Baracken“. Sie ist erleichtert, als sie hört, dass nur 92 Frauen in einem Raum zusammenleben müssen. Eine Mitgefangene kümmert sich um die Budapesterin: Sie flößt ihr heißen schwarzen Kaffee ein und füttert sie mit einem Margarinebrot. „Ich bin halb tot - aber auch halb lebend.“ Sie nimmt auch die Folgen des Transports wahr: „Tag für Tag enden mehr von uns auf dem Totenwagen. Die Leichen mit Blättern bedeckt, wie es im Lager Burgau üblich ist, fährt der Lastwagen seine traurige Fracht zum nahe gelegenen Krematorium hinüber.“ Darunter befinden sich nach den Aufzeichnungen auch die beiden „Susans, Olga Radó, die im Waggon wild beißende Frau und zwei Schwestern namens Roth“.
Weil die Frauen des Ravensbrück-Transports zu schwach sind, können sie im Kuno-Werk nicht arbeiten. „Wir verrichten gar keine Arbeiten, und demzufolge lässt man uns auch hungern. Zum Frühstück gibt’s eine große Tasse Ersatzkaffee, zum Mittagessen eine Schale heißes Wasser, zum Abendbrot eine Tasse Kaffee und 120 Gramm Brot.“ Eva Langley-Dános sieht ihre Freundin Lili Strausz ein letztes Mal. Auf einer Fotografie. Eine SS-Frau zeigt es her. Sie sollen mehreren Bildern von Leichen Namen zuordnen, weil offenbar bei der Vielzahl der Toten die Personalien durcheinandergeraten sind.
Eva Langley-Dános überlebte den Holocaust. Nach einigen Jahren in Frankreich wanderte sie nach Australien aus. „Gefängnis auf Rädern“ hat sie ihre Aufzeichnungen genannt, die im Daimon-Verlag erschienen sind. Ein Benediktinermönch riet ihr unmittelbar nach der Befreiung am 29. April 1945, alle Erinnerungen an die schicksalhafte Reise aufzuschreiben. Nur noch 26 Kilogramm wog sie, als sie im Lazarett in St. Ottilien wieder zu Kräften kam. Die Budapesterin kritzelte in ihrem Spitalbett alles über die Zugfahrt mit Bleistift auf Papier und verfasste damit ein erschreckendes Zeitzeugnis. Es führt die Gesetzlosigkeit und die Brutalität des Dritten Reichs vor Augen und macht betroffen. Für Langley-Dános war es eine Befreiung: „Sobald ich den vergifteten Stoff aus meiner Seele heraus aufs Papier warf, tauchten die Erinnerungen nicht mehr in Form von Albträumen auf.“